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Stärken und Schwächen akzeptieren

Zwei Autorinnen, zwei Perspektiven, ein gemeinsames Thema: Stärken und Schwächen akzeptieren.


Die Gratwanderung zwischen Selbstbewusstsein und Selbstzweifel ist eine Reise, die viele von uns durchlaufen, aber nur wenige wagen, darüber zu sprechen.


Silvia und Martina sind diesen Weg gegangen und teilen ihre Erfahrungen.

Stärken und Schwächen akzeptieren
Martina Bayer, Silvia Jauch
05.10.23

Silvia Jauch

Gerade kürzlich musste ich Hilfe in Anspruch nehmen und dabei wurde mir klar, wie schwer es mir fällt, meinen emotionalen Sinkflug offenzulegen. Denn dieses Mal schaffte ich es nicht, mir mein eisernes Lächeln ins Gesicht zu pflanzen, die Zähne zusammenzubeissen und weiterzumachen à la die starke Silvia. Im Gegenteil, ich brach zusammen und fiel in ein fieses dunkles Loch, denn ich hatte zu lange so getan, als ob alles okay sei.


Es war der erste Tag nach den Sommerferien, an dem meine starke Fassade zu bröckeln begann. Ich hatte eigentlich einige wichtige Aufgaben vor mir, da ich mit einem neuen Projekt beginnen wollte. Gleichzeitig startete meine Tochter im Gymi und wir mussten dafür noch einige Dinge besorgen – vom Tram-Abo bis hin zum Schulmaterial. Aber dieses Mal lief es nicht wie geplant, denn mein Popo machte mir einen schmerzhaften Strich durch die Rechnung. 

Silvia Jauch

Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich nicht mehr sitzen konnte – und andere wichtige Körperfunktionen versagten ihren Dienst. Liebe Leserin, falls du gerade keine Lust auf einen Text über totgeschwiegene Diagnosen hast, dann solltest du an dieser Stelle nicht weiterlesen. Viele Menschen sind davon betroffen, Frauen häufiger als Männer, und zwar von der Diagnose «Analvenenthrombose». Irgendwie hat es mein Hinterteil fertiggebracht, gleichzeitig mehrere davon zu produzieren, und das zwang mich dazu, den Notfall aufzusuchen. Wer mich kennt, der weiss, dass ich ziemlich leiden muss, bevor ich freiwillig ein Spital aufsuche. Ich würde sogar behaupten, dass ich durch mein Rheuma und meine bisherige Darmkrankheit ziemlich abgehärtet bin. Und vielleicht gerade deswegen überraschte mich mein emotionaler Sinkflug umso mehr. Als ich nach diesem Eingriff auf dem Notfall das Spital verlassen konnte, wurde mir noch deutlich klargemacht, dass ich vor meinem nächsten Reiseabenteuer einen weiteren Eingriff dort hinten unten in Kauf nehmen sollte, um unnötige Risiken zu vermeiden. Diese ernsten Worte zogen mir dann unerwartet den Boden unter den Füssen weg. 

Die ersten Tage versuchte ich, mich krampfhaft über Wasser zu halten und zusammenzureissen, denn ich hatte absolut keine Zeit, gerade jetzt in depressiven Gefühlen zu versinken. Aber nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass ich dieses Mal nicht so leicht wieder zum Optimisten werden würde, und das machte mir grosse Angst. Ein Kontrollverlust erlebt man wahrscheinlich bei einigen Diagnosen, das kannte ich bereits, aber ich war immer sehr gut darin, diese Phase schnell hinter mich zu bringen und nach vorn zu blicken. Schlussendlich hat man als Mama und/oder Arbeitnehmerin keine Zeit, um auszufallen. Aber dieses Mal funktionierte es nicht. Ich funktionierte nicht. Panikgefühle machten sich nun auch noch in mir breit und ich beschloss daher, mich zu öffnen und einem Freund davon zu erzählen, anstatt so zu tun, als ob alles in bester Ordnung sei. Ich erzählte von meiner Situation und dem kommenden Eingriff, aber bereute es sogleich wieder, denn er erklärte mir, dass ich «zäh» sei und er sich keine Sorgen um mich mache. Die Worte waren sicherlich nett gemeint, aber mein Sinkflug wurde dadurch nur noch mehr angekurbelt. Durfte ich überhaupt schwach sein? Am gleichen Tag bekam ich eine SMS von einer Freundin und mir wurde klar, dass ich mit meinen aktuellen Gefühlen nicht alleine dastand: «Silvia, ich war gerade beim Arzt wegen meiner entzündlichen Darmerkrankung, weil mich die Schmerzen an meine Grenzen brachten. Er meinte daraufhin bloss, dass ich als Frau noch viel mehr aushalten könne, dass sei von der Natur aus nämlich so vorgesehen!» Als sie nach Hause kam, brach sie in Tränen aus. 


Inzwischen geht es mir wieder etwas besser. Mit diesem Text möchte ich das Erlebte einerseits verarbeiten, aber gleichzeitig auch dazu aufrufen, dass wir Frauen laut und deutlich aussprechen sollen, wenn wir gesundheitlich an unsere Grenzen kommen, egal ob psychisch, physisch oder aus beiden Gründen. Und wir sollten aufhören, so zu tun, als ob wir dieses und jenes auch noch aushalten können, ohne mit der Wimper zu zucken. Schluss damit, denn es ist gefährlich, seine Grenzen zu ignorieren. Nur weil wir es uns gewohnt sind, Hormonschwankungen, Unterleibskrämpfe oder Geburtswehen zu überstehen, bedeutet das nicht, dass wir von Natur aus weniger Rechte haben, um auf unsere Grenzen zu verweisen. 

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Martina Bayer

Heb’ die Hand, wenn du Menschen kennst oder selbst einer von denen bist, die Selbstbewusstsein mit Arroganz und Überheblichkeit verbinden? 


Eigentlich geht es ja um die Fähigkeit, sich seiner Selbst bewusst zu sein und die eigenen Stärken und Schwächen zu akzeptieren, aufrichtig mit sich selbst umzugehen und in Selbstvertrauen umzuwandeln. Im Volksmund wird mit einem «gesunden Selbstbewusstsein» automatisch Positivität, Selbstwert und sicheres Sozialverhalten assoziiert, obwohl sich allesamt aus einem Gefühl der Stärke und Sicherheit entwickelt. Offen mit Fehlern umzugehen, die Fähigkeiten anderer anzuerkennen, Lob auszusprechen (für sich selbst und andere), kritikfähig zu sein, sich unabhängig und unbeeinflusst eine Meinung zu bilden, die eigenen Werte zu beschützen, Herausforderungen mutig zu begegnen und authentisch zu bleiben, auch in schwierigen Situationen – das sind Lernprozesse, die uns als furchtlose Kinder leichter zu fallen scheinen und zu denen wir im Erwachsenenalter neigen, Ängste zu entwickeln. 

Martina Bayer

Ängste sind die grössten Hindernisse, was die Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins angeht. Sie bremsen uns, hemmen uns, verändern uns tief unterbewusst. Vor allem die Bewertungen und Vorverurteilungen anderer Personen triggern nach mehrmaligem Vorkommen deutliche Veränderungen im Verhalten einer einst authentischen Person. Man beginnt, natürliche Reaktionen zu steuern, viel zu hinterfragen, und ehe man sich versieht, haben dich die eigenen Ängste konditioniert. 


Wie viele unter uns haben gelernt zu funktionieren? 

Wie viele sind damit beschäftigt, anderen zu gefallen? Wie viele sagen, was andere hören wollen? 

Wie viele posten auf Social Media und glauben erst dann an den Wert ihrer Story bei genügend Likes? 

Wie viele tun, was ihnen andere sagen, obwohl sie anderer Meinung sind? 

Wie viele lassen die Wahrnehmung anderer zu ihrer eigenen werden? 

Bei 4,8 Milliarden Social Media Usern, die täglich 3,5 Milliarden Mal «sharen & liken» und rund 95 Millionen Fotos hochladen (und das nur auf Instagram), und wo die Top 10 Influencer jeweils mehr Follower haben als Europa Gesamteinwohnende, wundert es kaum noch, dass die Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung oft federführend sind, was die eigenen Handlungen betrifft. Sich selbstsicher in Szene setzen scheint immer mehr zum Synonym für Selbstbewusstsein zu werden.

Meine grösste Stärke ist es, meine Schwächen zu kennen und neue zu identifizieren.

Ich behandle sie und ich akzeptiere mich so wie ich bin. Ich will niemand anderer sein oder irgendeinem Ideal nachjagen. Meiner Stärken bewusst zu sein, hilft mir enorm, meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und nicht die Schattengestalt anderer Menschen zu werden. 


Mir fällt zunehmend auf, dass Menschen ihre Stärken wie aus der Pistole geschossen aufzählen können, aber bei den Schwächen sich extra viel Mühe geben, die richtigen Worte zu wählen, um sie bekömmlicher auszudrücken oder vielleicht sogar zu schmälern. Gerade bei der Heilung einer Erkrankung würde ein gesunder Zugang zu sich selbst helfen, beispielsweise beim Angeben von Symptomen oder der Einschätzung von Schmerzen, bzw. generell bei Dingen, die man nur selbst beurteilen kann. 


Zwar ist mein Körper an Krebs erkrankt, aber mein Selbstbewusstsein nicht. Obgleich ich Ärztemeinungen hinterfragt habe, Zweitmeinungen eingeholt habe und diese mit den Ärzten besprochen habe, oder aktiv an meinem Gesundwerden teilgenommen habe – ich war nie nur Passagier. Untätigkeit, Fremdsteuerung und Passivität sind für mich die grössten Feindbilder. Ich kenne keine neuen Rezepte für ein stärkeres Selbstbewusstsein als die Üblichen aus den Magazinen, Reels oder Psychologiezitaten, aber ich unterschreibe sie alle, solange man sich mit sich selbst befasst. 

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