Silvia Jauch

Muss man seinen Körper immer lieben?

Bedeutet Bodypositivity, dass ich mich immer schön finden muss? Ich weiss, dass es ein toller Gedanke ist, aber so einfach ist es dann doch nicht. Sich selber zu lieben, hat nämlich nicht nur mit der Optik zu tun, sondern auch mit den Empfindungen. Und ich empfand eine Körperstelle an mir als überhaupt nicht angenehm, obwohl ich die Optik mochte.

Body Positivity
Silvia Jauch
23.06.23
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Dank dem Trend zur Selbstliebe versuchte ich diesen negativen Gedanken immer wieder zu vertreiben, denn ich dachte, dass ich mich ja komplett so annehmen müsse, wie ich eben sei. Inzwischen sehe ich diese Angelegenheit aber etwas anders und weniger streng.


Als Beispiel möchte ich hier eine Situation schildern, die sich im letzten Sommer ereignete und mich auf die Palme brachte. Wir waren in unseren Ferien auf Mallorca und ich trug ein wunderschönes, luftiges Sommerkleid, um genau zu sein, ein Kleid von der Sorte, die man in den Ferien kauft und auch nur dann trägt. Es war noch nach 19 Uhr unglaublich heiss, aber im Bikini darf man nun mal nicht in den Speisesaal. Also zog ich dieses Kleid aus rosafarbenem Leinen an, aber der erhoffte Wohlfühleffekt blieb aus. Denn die Optik wurde von meiner Oberweite durchkreuzt: Das Kleid spannte so sehr um die Brust herum, dass sie total gequetscht aussah, und gleichzeitig die Schweissflecken unter der Brust in den Mittelpunkt rückten. Anscheinend hatte ich seit dem letzten Sommer obenrum erneut zugelegt.


An besagtem Abend hatte ich keine Zeit mehr, mich umzuziehen, und fühlte mich den ganzen Abend total unwohl. Meine Tochter fragte mich, warum ich den BH nicht einfach weglasse, andere Frauen machten das ja auch so. Damit sprach sie ein Thema an, das mich schon seit längerem verfolgte, denn inzwischen schlief ich fast jede Nacht nur noch in einem BH oder Top, um dem Volumen Herrin zu werden. Tagsüber ging gar nichts mehr ohne Stütze, denn das Gewicht zog nur noch mehr an meinem Nacken und den Schultern. Das war für mich dann auch der ausschlaggebende Moment und ich habe ein paar Monate später den Schritt gewagt und meine Brust um etwa zwei Grössen verkleinern lassen.


Ich fühlte mich danach wortwörtlich von einer Last befreit und total happy. Aber es kam zu einem kleinen Dämpfer, als ich von einer Bekannten gefragt wurde, was denn dieser Wunscheingriff eigentlich noch mit Bodypositivity zu tun habe, ob ich mich denn zuvor nicht schön genug gefunden hätte. Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, mein jetziges Körpergefühl mit demjenigen vom letzten Sommer verglichen und versucht, meine Gedanken in Worte zu fassen.

Selbstliebe bedeutet für mich, dass man so schön ist, wie man ist, aber es auch okay ist, wenn man sich nicht immer so fühlt.

Muss man sich immer schön finden und sich immer total wohl fühlen, trotz aller Merkmale oder Veränderungen, die unsere Körper ausmachen? Ich glaube nicht. Selbstliebe hat in meinen Augen natürlich viel damit zu tun, dass man den eigenen Körper wertschätzt, aber dennoch sollte man nicht unter gewissen Aspekten leiden. Selbstliebe kann auch bedeuten, dass man sich Gedanken darüber macht, was einem helfen könnte, sich besser zu fühlen. Manchmal kann das ein gewisser Schnitt eines Kleides sein oder die fröhlichen Farben eines Bikinis, eine Körpercreme, ein neuer Haarschnitt, aber manchmal geht es auch etwas tiefer, und darüber darf man sich definitiv Gedanken machen. Ansonsten verbietet dieser Trend, unsere natürlichen Gefühle zuzulassen, und das macht in meinen Augen keine Selbstakzeptanz aus. Natürlich bin ich der Meinung, dass man sich grundsätzlich so annehmen sollte, wie man ist, und es dafür natürlicherweise auch etwas Geduld braucht. Aber es darf nicht sein, dass der Trend zur Bodypositivity uns verbietet, kritische Gedanken zu haben und sich darauf einzulassen. Denn nicht jede Kritik ist eine unnötige Angelegenheit, schliesslich geht es dabei manchmal um mehr als einen einzigen Schwangerschaftsstreifen, mit dem man sich wahrscheinlich anfreunden kann. 


Bodypositivity ist heutzutage zu einem Trendthema geworden, und zwar so sehr, dass es auch schon fast wieder Druck ausübt. Es ist eine grossartige Denkweise, die Selbstliebe und Akzeptanz fördert, aber dazu gehört in meinen Augen, dass man auch schwierigen Gefühlen Platz einräumt und nicht alles unter positiven Vibes verstecken muss. Es ist nämlich eine ganz persönliche Entscheidung, wenn man beschliesst, etwas an sich verändern zu wollen, damit man sich besser fühlen kann – sofern man dabei bei sich selbst bleibt und sich nicht auf andere Meinungen oder Trends fokussiert. 


Daher bedeutet Selbstliebe für mich, dass man so schön ist, wie man ist, aber es auch okay ist, wenn man sich nicht immer so fühlt. Wichtig ist nur, dass wir uns als Ganzes annehmen und mögliche Veränderungen für uns selbst herbeiführen und diese auch nur für uns selber machen. Dazu gehört auch, dass man alle Gefühle zulässt und sich mit ihnen beschäftigt – das ist für mich Selbstliebe und diese führt oft auch zu ganz viel Bodypositivity.

Silvia Jauch

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