Image without a name

Asche und Phönix

Ich weiss noch genau, wie das Gefühl war, als ich Kleidergrösse 36 trug und sich die Muskeln unter meiner Haut abzeichneten. Was war ich stolz auf meine Leistung und das verdiente Ergebnis, welches ich zufrieden im Spiegel betrachtete. Ich habe diese Art der Selbstwertschätzung nie in Frage gestellt. Denn für mich war klar, dass ich mir dieses Gefühl verdient habe mit unzähligen Trainingsstunden und perfekt ausgewogener Ernährung. Woran ich aber all die Zeit nicht gedacht habe, war die Möglichkeit, dass wir nicht immer alles in der Hand haben und so steuern können, wie es uns beliebt. Für mich war diese Rechnung mit dem Resultat der Wertschätzung mir selbst gegenüber simpel: Knie dich rein, streng dich an und sei dann stolz, wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist, und falls es das nicht ist: Streng dich halt noch mehr an. Das Leben hat eine grosse Besonderheit an sich, und zwar, dass es uns immer wieder aufzeigt, dass wir uns auf das Leben eben doch nicht so vorbereiten können, wie wir es uns immer so gerne weismachen. Und besonders gut können diese Art der Lehre zahlreiche Krankheiten erteilen, die uns wie aus dem Nichts heraus und unvorbereitet treffen können.


Genau das passierte damals dann auch bei mir.

Asche und Phönix
Silvia Jauch
24.08.21

Meine Krankheit schlich sich auf Zehenspitzen an und bevor mir bewusst war, was gerade passierte, hatte sie schon meine Vorgehensweise, mir meine eigene Wertschätzung zu erhalten, zum Einsturz gebracht. Ich kam mir vor wie eine Buchhalterin, die ein Leben lang Zahlen korrekt addierte und immer das erwartete Ergebnis bekam, und jetzt war auf einmal alles anders.


Die Krankheit veränderte alles in meinem Leben und ich war gezwungen, die Kontrolle abzugeben. Einerseits war da dieses panische Gefühl in mir, das mir meine Selbstsicherheit stahl, und gleichzeitig bemerkte ich die Veränderungen an meinem Körper. Ich stand vor einer Rechnung mit einem nicht möglichen Resultat, denn ich konnte mir meine eigene Wertschätzung nicht mehr ermöglichen – weil all die Massnahmen, die mich zuvor immer zu diesem wunderschönen Resultat geführt hatten, nicht mehr umsetzbar waren.. Ich war nicht mehr das Ergebnis von harter Arbeit, sondern eher eine Art Geisel meiner Autoimmunkrankheit. Eine Baustelle nach der anderen wurde in meinem Körper eröffnet und die Scham breitete sich in mir aus wie ein Ölfleck auf Stein. Wie oft musste ich mir anhören, dass ich doch einfach wieder trainieren gehen soll und dann wieder alles so wird, wie es mal war. Aber was diese Ratschlaggebenden nicht wussten, war eine Information, die nur Menschen mit Krankheiten mitgegeben wird: Nicht du bestimmst über deinen Körper und sprengst Grenzen, sondern er bestimmt über dich, und währenddessen werden Grenzen zu unüberwindbaren Mauern aus Stahl.

Image without a name Image without a name

Aber meine Krankheit lehrte mich noch etwas, und für diese Erkenntnis bin ich ihr sogar dankbar: Sie lehrte mich, dass ich genug bin mit dem, was ich bin, und mich nicht mehr messen soll an reinen Leistungen, die ich eben nicht mehr vollbringen kann. Jeder Mensch kann sich selbst zu Höchstleistungen trimmen und das Gefühl der Selbstliebe und der Wertschätzung geniessen. Aber die wirkliche Leistung ist die, dass man sich auch dann genauso wertschätzt, wenn man an seinem eigenen Wertesystem grandios gescheitert ist.


Was mich am meisten berührte, war die Erkenntnis, dass meine Krise mich auf neue Pfade führte und mir aufzeigte, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, sich selbst viel wert zu sein. Irgendwann getraute ich mich wieder, mich selbst zu betrachten – denn mein Körper war inmitten einer Verwandlung.

«ERRUNGENE LEISTUNGEN SIND VERGÄNGLICH, KLEINLICH UND KNAUSERIG, ABER SELBSTLIEBE IST DIE EXPLOSION, DIE ES BRAUCHT, UM DIESE MAUERN AUS STAHL NIEDERZUREISSEN.»

Meine Muskeln bildeten sich nach und nach zurück und dieser Platz wurde eingenommen von neuen Kurven und einer weicheren Haut. Meine Brüste wurden üppiger und mein Haar wuchs und wurde dichter und dichter. Nach vielen Monaten erkannte ich im Spiegelbild eine fast komplett neue Frau: Sie war rundlich und voller Schwung in ihrer Form. Das Haar floss den Rücken hinunter und das Lächeln war breiter und strahlte viel mehr als früher. Ich stand da und sah mich an und mir war bewusst, dass ich mich gernhabe, dass ich stolz bin – und zwar nicht mehr auf meine Leistungen, sondern einfach auf meine Zufriedenheit und das Urvertrauen, dass das alles so genau richtig ist. Denn zum ersten Mal betrachtete ich mich nicht mehr mit kritischem Blick von aussen, sondern ich fühlte mich.


Denn das eine ist eine ständige Wertung, während das andere bedeutet, dass man bei sich bleibt, und das gibt einem eine wirkliche innere Zufriedenheit – unabhängig davon, ob man gesund oder krank ist, alles perfekt erledigt hat oder halt einfach mal nichts auf die Reihe bekommen hat. Denn was zählt ist, dass wir weitermachen, auch wenn es schwer ist, so wie ein Phönix, der aus der Asche entsteht. Und manchmal sind wir nicht mehr als ein Häufchen Asche, und manchmal erstrahlen wir in vollem Glanz. Beides darf sein. Beides gehört zum Leben dazu. Und in beiden Situationen sind wir gut so, wie wir dann gerade sind.


Diese Art der Selbstliebe kommt nicht von heute auf morgen und ist kein einfacher Weg, aber er sollte geübt werden, indem man ihn probeweise immer wieder beschreitet, und zwar so oft es geht und bevor man ihn aufgezwungen bekommt. Denn während wir uns noch an den selbsterarbeiteten Leistungen messen, hat das Leben vielleicht schon einen neuen Plan ausgetüftelt, um uns aus den gewohnten Bahnen zu katapultieren. Spätestens dann müssen wir uns darüber klar werden, dass wir genug sind und noch viel mehr, denn wir nehmen das Leben an und machen weiterhin das Beste daraus! Was für eine nicht messbare, aber wichtige Errungenschaft.


Wir sind nämlich viel mehr als ein Leistungserbringer, der von unkontrollierbaren Faktoren abhängig ist. Wir sind mehr als unsere Krankheiten.

Weiter Blogartikel von Silvia Jauch

Image without a name
Silvia Jauch 21.05.22

Motherhood

Der komplette Text zu diesem Thema war bereits fertig, aber ich habe ihn soeben gelöscht. Er war zwar gut, aber gerade jetzt kommen in mir Gefühle an die Oberfläche, die so viel besser zu diesem Thema passen und die ich euch gerne mitteilen möchte. Aber es sei gesagt: Es sind keine einfachen Zeilen – zumindest nicht für mich.

Image without a name
Silvia Jauch 24.03.22

Empowerment by Silvia Jauch

Empowerment als kreatives Projekt: Ich lade euch ein, uns eure Statements und Quotes zum Thema Empowerment einzusenden. Sie sollen kurz und keck sein, euch identifizieren und mich vom Stühlchen hauen 😊. Der beste Quote wird auf den Social-Media-Kanälen von Beldona veröffentlicht, und der/die Gewinner:in erhält zusätzlich eine kleine Überraschung...

Image without a name
Silvia Jauch 23.02.22

Ich bin 40. So what!

Ich bin gerne eine Frau - mit allem, was dazugehört. Gleichzeitig finde ich es nicht einfach, eine zu sein. Ich glaube, es gibt kaum ein Thema, das so klischeehaft ist wie das Frausein, und das habe ich besonders in den letzten Jahren gemerkt. Ich bin ein Mädchen aus den 80ern, wurde in den 90ern zum Teenager mit Britney-Spears-Songs, dem Bravo-Dr.-Sommer-Team und dem enormen Druck, wie ich als Frau zu sein habe...

Image without a name
Silvia Jauch 11.02.22

Bitte einmal Französisch

Wie viel schonungslose Offenheit braucht es, um meine Wangen zum Glühen zu bringen? Nicht viel, oder zumindest viel weniger, als ich bislang von mir gedacht hatte. Man nehme eine feurige Sexualtherapeutin mit einem doppelten Schuss Rhythmus im Blut, füge ein paar lautstarke Bauchatmungen hinzu und vollende das Ganze mit einer Inbrunst, wie ich sie bei Sexualkunde-Referenten noch nie erlebt hatte. Nun wünsche ich euch viel Spass beim Lesen...

Image without a name
Silvia Jauch 29.10.21

Veränderte Bedürfnisse

Wir alle können uns sicher noch an die Zeiten erinnern, als es den BH in vielleicht höchstens drei verschiedenen Modellen gab und keines davon perfekt sass. Also kaufte man das Stück, das es hoffentlich noch in der richtigen Grösse gab und alles andere wurde sprichwörtlich in Kauf genommen...

Image without a name
Silvia Jauch 08.05.21

Zebras sind Geschichte

Sie sind tapsig unterwegs und schleppen ständig ein Nuschi mit sich herum. Du guckst deinem Mädchen zu und denkst, dass es noch ewig dauert, bis sie gross wird. Aber dreimal Blinzeln und vor dir steht weder Fisch noch Vogel – irgendetwas dazwischen mit Zahnspange, Handy in der Hand und einem unendlichen Repertoire an genervtem Augenrollen...

Image without a name
Silvia Jauch 09.04.21

Sei doch etwas weiblicher

Ich wünsche euch einen wundervollen Weltfrauentag und habe mich dazu für ein kleines Beispiel entschieden, um es für euch hier in Worte zu fassen. Es ist mir bewusst, dass es tausend gewichtigere Themen in Bezug auf den Weltfrauentag gibt als das von mir gewählte. Denn Frauen mussten seit Anbeginn der Zeit für fast alle Grundrechte kämpfen...

Image without a name
Silvia Jauch 11.02.21

Zu zweit Eins werden

Was gibt es Erotischeres, als die Frau zu sein, die man sein will, während man zu zweit eins wird...

Image without a name
Silvia Jauch 04.02.21

Stay@home

Ich liebe Movie-Nights. Zu Hause auf der Couch in Decken und Kissen halb versunken und währenddessen an riesigen Keksen rumknabbern. Wisst ihr, welche Kekse ich meine? Es sind diese handtellergrossen krümeligen Butterkekse mit Schokowürfeln drin....

Image without a name
Silvia Jauch 26.05.20

Staycation-Erdbeer-Geschirrtuch

Staycation hörte sich für mich bislang nicht unbedingt interessant an, sondern vielmehr nach einer sehr unliebsamen Alternative. Da aber in den letzten Wochen nur diese Art von Ferien umsetzbar war, musste auch ich mich mit dem Thema befassen. Die Frühlingsferien standen vor der Tür, und unsere Reisepässe verstaubten in irgendeiner Schublade....

Image without a name
Silvia Jauch 08.10.20

Eine Frau sein und eine Amazone werden

Unser scheinbar unperfekter Körper, unsere Krankheiten oder unsere Handicaps dürfen uns nie das Gefühl geben, dass wir deswegen weniger Frau sind...

Image without a name
Silvia Jauch 04.12.20

Weihnachten mit Silvia

Für mich war Weihnachten immer eine kleine Herausforderung. Erwartungen, Geschenke und gute Laune mussten nach den jeweils stressigen vierundzwanzig Dezembertagen auf Knopfdruck bereitstehen. Und kaum waren diese Tage vorbei, zwängte ich mich in die inzwischen etwas enger gewordenen Sportklamotten und machte Pläne für Neujahr...

Image without a name
Silvia Jauch 05.06.20

Schöne Momente in turbulenten Zeiten

Guten Tag liebe Leserinnen Mein Name ist Silvia Meier, ich bin die neue Brand-Ambassadorin von Beldona. Ich durfte für euch einen Blog-Artikel schreiben, um mich vorzustellen und über meinen neuen, unfreiwilligen Quarantäne-Lebensstil zu berichten. Und gerne möchte ich mich euch vorstellen...